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Multiple Sklerose und Impfungen - Hepatitis-B-Impfung

Existiert ein Zusammenhang zwischen Multipler Sklerose und anderen demyeliniserienden Erkrankungen und der Hepatitis B-Impfung?

Diskussion der unterschiedlichen Studien

Studienübersicht

Seit der Einführung der Hepatitis B-Immunisierung wurden wiederholt Bedenken geäußert, dass die Hepatitis B-Impfung (HB-Impfung) als Auslöser für das Auftreten oder die Progression von Multipler Sklerose (MS) verantwortlich sei. Ausgehend von dieser Hypothese wurden in den vergangenen Jahren mehrere Fall-Kontroll- und Kohortenstudien1,3,4,7-9 sowie eine "Case cross-over study"2 zu diesem Thema publiziert, jedoch wurde bisher in keiner dieser Studien ein signifikantes Risiko für das Auftreten der MS bzw. von anderen demyelinisierenden Erkrankungen nach HB-Impfung beschrieben. Eine Übersicht über wichtige publizierte Studien findet sich in der folgenden Tabelle:

Autor Studiendesign Fallzahlen Zeitinterval HB-Impfung u. MS OR bzw. RR (95% CI)
DeStefano et al., 2003 Retrospektive Fallkontrollstudie mit Erwachsenen Pat(ient) n = 440
vs
Kon(trolle) n= 950
< 1 Jahr
1 - 5 Jahre
> 5 Jahre
0,8 (0,4 - 1,8)
1,6 (0,8 - 3,0)#
0,6 (0,2 - 1,4)
Touze et. al., 2002 Retrospektive, multicenter, Fallkontrollstudie Pat. n = 236
vs
Kon. n = 355
0 - 2 Monate
2 - 12 Monate
1,8 (0,7 - 4,6)
0,9 (0,4 - 2,0)
Ascherio et al., 2001 Retrospektive Fallkontrollstudie mit Frauen
(Krankenschwestern)
Pat. n = 192
vs
Kon. n = 645
allgemein vorher
< 2 Jahre
0,9 (0,5 - 1,6)
0,7 (0,3 - 1,8)
Zipp et al., 1999* Kohortenstudie mit Erwachsenen 27229 (geimpft)
vs
107469 (ungeimpft)
< 6 Monate
< 1 Jahr
< 2 Jahre
< 3 Jahre
1,3 (0,4 - 4,8)
1,0 (0,3 - 3,0)
1,0 (0,4 - 2,4)
0,9 (0,4 - 2,1)
Confavreux et al., 2001 "Case Cross-over" Study mit MS Patienten n = 6432 Monate vor Relaps
geimpft n = 15
0 - 2 Monate 0,67 (0,2 - 2,17)

* demyelinisierende Erkrankungen wurden evaluiert

Vor diesem Hintergrund hat die jüngste Fall-Kontroll-Studie von MA Hernán et al.5 ("Recombinant Hepatitis B Vaccine and the Risk of Multiple Sclerosis" in Neurology 2004) für Aufmerksamkeit gesorgt. Die Autoren Hernán et al. errechneten in ihrer Studie eine geringfügig erhöhte Odds Ratio (=> Risiko) von 3,1 (95 % CI 1,5-6,3) für MS nach einer Hepatitis B Impfung. Bezüglich Tetanus- und Influenza-Impfung wurde kein Hinweis auf ein erhöhtes Risiko für MS gefunden. Die retrospektive Auswahl der Patienten für diese Fall-Kontroll-Studie erfolgte bei Hernán et al. mittels einer Datenanalyse aus einer englischen General Practice Research Database (GPRD). In dieser Datenbank sind die medizinischen Daten von über 3 Mio. Engländern gespeichert, erhoben von ausgewählten englischen Allgemeinärzten (General Practitioners). Die für die Studie relevanten Patientendaten wurden in zwei Schritten aus der Datenbank extrahiert.

Im ersten Schritt wurden alle Einträge im Zeitraum Januar 1993 bis Dezember 2000 mit der Diagnose Multiple Sklerose (nach ICD Code) ausgewählt. Anschließend wurden zu den elektronischen Daten die entsprechenden medizinischen Dokumentationen in Papierform zugeordnet und von zwei unabhängigen Internisten in anonymisierter Form basierend auf den Kriterien von Poser et al.6 im Hinblick auf die Diagnose einer MS bewertet. Die Patienten wurden in Gruppen mit gesicherter MS, möglicher MS und keinen sicheren Anhalt für MS eingeteilt. Mittels dieser Selektion wurden aus den initial 713 Fällen in der Datenbank 438 Patienten mit MS identifiziert.

Im zweiten Schritt wurden die Patienten nach dem Zeitpunkt der ersten klinischen Symptome für MS während des Beobachtungszeitraumes unterteilt. Bei 282 von den 438 Patienten mit MS wurden die ersten Symptome nach der Aufnahme in die Datenbank registriert. Für die abschließende Analyse wurden jedoch nur die 163 Patientenakten ausgewertet, die mindestens 3 Jahre vor der Erstdiagnose MS in der Datenbank registriert waren.

Aus diesen 163 Patienten wurden 11 identifiziert, die innerhalb der drei Jahre vor der Erstdiagnose MS gegen Hepatitis B geimpft wurden. Daraus ergab sich in der Studie eine Odds Ratio (OR) von 3,1 (95% CI 1,6 - 6,3) verglichen mit einer Kontrollgruppe (korreliert nach Alter, Geschlecht), die über den gleichen Zeitraum in der Datenbank geführt wurde.

Es ist wichtig anzumerken, dass alle geimpften MS-Patienten in dieser Studie älter als 18 Jahre waren, d.h. Kinder wurden nicht einbezogen.

Kommentar

Mit der Fall- Kontroll- Studie von Hernán et al. wurde zum ersten Mal ein signifikant erhöhtes Risiko für MS nach einer Hepatitis B Impfung in der Literatur beschrieben, wenngleich die Autoren den pathophysiologischen Zusammenhang nicht erklären können. Somit kann über die Kausalität keine Aussage gemacht werden. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) hat sich kritisch zu der Studie geäußert und auch auf verschiedenste methodische Probleme hingewiesen. So wird die zu kleine Fallzahl in der Studie (n = 11 Erwachsene mit MS nach Impfung) und die damit verbundene Ergebnisvariation bei nur geringfügigen Änderungen in den erhobenen Daten als Schwachpunkt der Argumentation aufgeführt.

Auch wird der Grund für die oben erwähnte Selektion, die zur Auswahl der 163 MS-Kranken geführt hat, in der Publikation nicht ausreichend dargestellt. Ferner stellt sich die Frage, ob die Durchimpfungsrate der Kontrollgruppe tatsächlich repräsentativ ist für die Durchimpfungsrate der Bevölkerung.

Als weiterer Kritikpunkt wird die Definition der Kontrollgruppe angeführt, die sich nur auf Alter, Geschlecht, Zeitpunkt der Praxisregistrierung und Ort der Praxis beziehen, nicht aber auf mögliche weitere Faktoren, die zu einer Impfindikation führen könnten. Es ist bekannt, dass während der Beobachtungszeit der Studie nur bestimmte Risikogruppen in der britischen Bevölkerung gegen Hepatitis B geimpft wurden (Medizinisches Personal, Dialysepatienten, Leberkranke, Auslandsreisende, Prostituierte), wodurch nicht ausgeschlossen ist, dass das Ergebnis nicht repräsentativ ist, weil wichtige Risikofaktoren möglicherweise bei der Auswahl der Kontrollen nicht berücksichtigt wurden. Auch ist es erklärungsbedürftig, dass kein signifikantes Risiko mehr gefunden werden konnte, wenn statt der Zeit zwischen Impfung und ersten Symptomen die Zeit zwischen Impfung und Diagnose ausgewertet wird.

Eine durchaus ähnliches Studiendesign mit Patientendaten aus den USA (DeStefano F et al.,4 Pharamacoepidemiology and Drug Safety 2004;13:143-144) ergab jüngst kein signifikant erhöhtes Risiko (Odds ration 0,8; 95 % CI: 0,4-1,4). Allerdings ist diese Arbeit derzeit lediglich als Abstract verfügbar.

Fazit

Die Ergebnisse der Studie von Hernán et al. müssen im Kontext der anderen oben erwähnten Studien gesehen werden. Trotz der methodischen Kritik an der genannten Studie, sollte die Aussage der Studie nicht unbeachtet bleiben und zu weiteren Untersuchungen führen. Darüber hinaus steht für den Autor selbst fest, dass der Nutzen der HB Impfung noch weit über den bisher gefundenen Risiken steht.

Literatur

  1. Ascherio A, Zhang SM, Hernán MA, et al.
    Hepatitis B vaccination and the risk of multiple sclerosis.
    N Engl J Med 2001;344:327-332. Abstract
  2. Confavreux C, Suissa S, Saddier P, et al.
    Vaccinations and the risk of relapse in multiple sclerosis. Vaccines in Multiple Sclerosis Study Group.
    N Engl J Med. 2001 Feb 1;344(5):319-26. Abstract
  3. DeStefano F, Verstraeten T, Jacksin LA, et al.
    Vaccinations and risk of central nervous system dermyelinating diseases in adults.
    Arch Neurol 2003;60:504-509. Abstract
  4. DeStefano F et al.
    Determining Risk of Multiple Sclerosis after Hepatitis B Vaccine: Time since vaccination and source of data.
    Pharmacoepidemiology and Drug Safety 2004;13:143-144
  5. MA Hernán SS Jick, MJ Olek, H Jick.
    Recombinant Hepatitis B Vaccine and the Risk of Multiple Sclerosis.
    Neurology 2004, 63,838-842
  6. Poser CM.
    The epidemiology of multiple sclerosis: a general overview.
    Ann Neurol 1994;36(S2):180-193 Abstract
  7. Sadovnick AD, Scheifele DW.
    School-based hepatitis B vaccination programme and adolescent multiple sclerosis.
    Lancet 2000;355:549-550. Abstract
  8. Touze E, Fourrier A, Rue-Fenouche C, et al.
    Hepatitis B vaccination and first central nervous system dermyelinating event: a case-control study.
    Neuroepidemiology 2002;21:180-186. Abstract
  9. Zipp F, Weil JG, Einhäupl KL.
    No increase demyelinating disease after hepatits B vaccine.
    Nat Med 1999;5(9):964-965. Full text article (login required)

Aktualisiert: 29.11.2005