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Interview mit PEI-Präsident Prof. Klaus Cichutek anlässlich der bevorstehenden Grippesaison

Eine Infektion mit dem Influenzavirus ist eine ernst zu nehmende Erkrankung. Die Grippeimpfung schützt viele Menschen vor dieser Erkrankung oder einem schwereren Krankheitsverlauf. Weil jedes Jahr unterschiedliche Stämme während der Grippesaison zirkulieren und sich diese Grippeviren im Verlauf der Grippesaison verändern können, müssen Impfstoffe für einen effizienten Schutz kontinuierlich angepasst werden. Wie das genau funktioniert und warum Bürgerinnen und Bürger sich auf die Sicherheit, Wirksamkeit und Qualität der Grippeimpfstoffe hierzulande verlassen können, erläutert Prof. Cichutek, Präsident des Paul-Ehrlich-Instituts (PEI), im Interview.

Prof. Dr. Klaus Cichutek (Quelle: T. Jansen / Paul-Ehrlich-Institut)

1. PEI-Redaktion: Herr Prof. Cichutek, anders als alle anderen Impfstoffe ändert sich häufig die Zusammensetzung der Grippeimpfstoffe für die jeweilige Saison, sodass generell jedes Jahr erneut gegen die Grippe geimpft werden muss. Warum ändert sich diese Zusammensetzung?

Prof. Cichutek: Es gibt unterschiedliche Grippeviren, die während einer Saison zirkulieren, und diese können sich zudem noch verändern. Wir unterscheiden Grippevirustypen mit unterschiedlichen Subtypen und Linien. Damit im Grippeimpfstoff für die jeweilige Saison die Antigene (Erregerbestandteile) der hauptsächlich zirkulierenden Grippevirus-Stämme enthalten sind, muss die Zusammensetzung jährlich angepasst werden.

2. PEI-Redaktion: Wer entscheidet über die Zusammensetzung der Grippeimpfstoffe?

Prof. Cichutek: Die Definition der Zusammensetzung der Grippeimpfstoffe ist das Ergebnis eines mehrstufigen Prozesses, an dem Gesundheitsexpertinnen und -experten verschiedener internationaler Organisationen beteiligt sind.

Die Empfehlung zur Zusammensetzung kommt jährlich initial von der Weltgesundheitsorganisation (WHO), die jeweils eine Empfehlung für die nördliche Halbkugel und ein halbes Jahr später für die südliche Halbkugel ausspricht.

Diese Empfehlung beinhaltet, wie die Antigenkombination aussehen soll, d.h. von welchen Stämmen Antigene im Impfstoff vertreten sein sollen. Für die nördliche Halbkugel wird die Empfehlung meist im Februar ausgesprochen und zwar auf Grundlage der Daten, die das internationale Netzwerk der sogenannten Essential Regulatory Laboratories, einem auf Influenzaviren spezialisierten Labornetzwerk, weltweit erhebt und an die WHO meldet.

Die Expertinnen und Experten, die in diesem Netzwerk zusammenarbeiten, beobachten kontinuierlich, welche Virusstämme zirkulieren und wie diese sich im Laufe der Zeit verändern. Sie untersuchen die genetischen Eigenschaften der zirkulierenden Virusstämme, deren Virulenz und Pathogenität.

Die Adhoc-Influenza-Arbeitsgruppe der Europäischen Arzneimittelagentur EMA gleicht die von der WHO empfohlene Impfstoffzusammensetzung mit den in Europa zirkulierenden Stämmen ab. Üblicherweise schließt sich die Arbeitsgruppe der Empfehlung der WHO an.

3. PEI-Redaktion: Wie werden Grippeimpfstoffe zugelassen und kontrolliert?

Prof. Cichutek: Alle Grippeimpfstoffe benötigen zunächst wie alle anderen Impfstoffe eine Zulassung. Nur wenn der Grippeimpfstoff alle Stufen der Arzneimittelzulassung, in denen alle Daten zur Qualität und Herstellung, Wirksamkeit und Sicherheit gründlich geprüft werden, erfolgreich durchlaufen hat, erhält er diese Zulassung. Die Arzneimittelregulatoren bewerten auf der Grundlage von nichtklinischen und klinischen Prüfungen und Daten zu Nebenwirkungen die Sicherheit und Wirksamkeit des Grippeimpfstoffs und erteilen nur bei positivem Nutzen-Risiko-Profil eine Zulassung. Die erforderliche Qualität und die Konsistenz der Herstellung müssen natürlich dem Stand von Wissenschaft und Technik entsprechen.

Die Zusammensetzung der Grippeimpfstoffe verändert sich meist jedes Jahr. Ob die für die Grippesaison festgelegte Stammzusammensetzung für die einzelnen Grippeimpfstoffe auch korrekt übernommen wurde, überprüfen die verschiedenen nationalen EU-Behörden vor jeder Impfsaison. Bei positiver Bewertung erteilen sie die Genehmigung der Stammanpassung. Dies übernimmt in Deutschland das Paul-Ehrlich-Institut. Nur Grippeimpfstoffe mit genehmigter Stammanpassung dürfen vermarktet werden.

Grippeimpfstoffe, wie auch alle anderen Impfstoffe, durchlaufen in Deutschland beim Paul-Ehrlich-Institut die staatliche Chargenprüfung und erhalten bei positivem Ergebnis die staatliche Chargenfreigabe, bevor sie auf den Markt kommen dürfen.

Mit Stolz möchte ich darauf hinweisen, dass die Kolleginnen und Kollegen im PEI jedes Jahr die Überprüfung der Stammanpassung sowie die Chargenprüfung der Impfstoffe professionell, reibungslos und zügig durchführen. Für die Grippesaison 2019/2020 haben die Expertinnen und Experten bereits etwa 21 Millionen Dosen Impfstoff freigegeben.

4. PEI-Redaktion: Welche Unterschiede gibt es bei Grippeimpfstoffen?

Prof. Cichutek: Im Wesentlichen unterscheiden wir die Grippeimpfstoffe nach der Art der Herstellung, nach der Darreichungsform, nach der Anwendung bei bestimmten Patienten- bzw. Altersgruppen und nach der Anzahl der abgedeckten Virusstämme. In Deutschland stehen in der aktuellen Saison 2019/2020 ausschließlich tetravalente Grippeimpfstoffe zur Verfügung. Beispielsweise ist der einzige Grippeimpfstoff, der abgeschwächte lebende Grippeviren enthält, nur zur Anwendung in der Altersgruppe ab einem Lebensalter von zwei Jahren bis zu einschließlich 17 Jahren zugelassen. Zudem ist es der einzige Impfstoff, der als Nasenspray verabreicht wird.

5. PEI-Redaktion: Soll man sich jedes Jahr gegen die Grippe impfen lassen?

Prof. Cichutek: Meine persönliche Empfehlung ist ganz klar ja, insbesondere die von der STIKO empfohlenen Personen. Die Influenzaimpfung sollte jährlich erfolgen, weil die Impfwirkung nach einigen Monaten nachlässt und zudem nur bei einer jährlichen Stammanpassung der optimale Schutz gegenüber den zu erwartenden Virusvarianten erreicht werden kann. Auch in den Fällen, in denen trotz Impfung eine Grippeerkrankung auftritt, reduziert die Impfung die Schwere des Verlaufs.

6. PEI-Redaktion: Kann ich von der Grippeimpfung eine Grippe bekommen?

Prof. Cichutek: Nein, von der Grippeimpfung kann man keine Grippe bekommen. Mit Ausnahme eines Impfstoffs, der abgeschwächte Lebendviren enthält, sind alle Grippeimpfstoffe Totimpfstoffe, die per se keine Grippe verursachen können. Und selbst der abgeschwächte Lebendimpfstoff kann keine Grippe auslösen. Er besteht aus einem Lebendgrippevirus, das die Antigene der von der WHO empfohlenen Grippevirustypen umfasst, sodass gegen diese unterschiedlichen Varianten der Impfschutz aufgebaut wird. Das verwendete Grippevirus ist so stark abgeschwächt, dass es keine Grippe auslösen kann. Ganz generell gilt also: Grippeimpfstoffe lösen keine Grippe aus.

Auch wenn man von der Grippeimpfung keine Grippe bekommen kann, ist es aber unter bestimmten Umständen möglich, trotz der Grippeimpfung die Grippe zu bekommen. Beispielsweise kann dies passieren, wenn die Impfung zu spät erfolgt ist und das Immunsystem noch nicht den vollständigen Schutz aufgebaut hat. Für einen wirksamen Schutz benötigt unser Immunsystem rund zwei Wochen. Daher ist es für den Einzelnen wichtig, sich impfen zu lassen, bevor die Grippeviren in Deutschland ankommen. Zum anderen kann dies passieren, wenn das Immunsystem auf die Impfung nicht ausreichend gut reagiert hat. Es hat sich aber gezeigt, dass die Erkrankung dann deutlich milder verläuft, als ohne Impfung.

Die Grippeimpfung schützt allerdings auch nur vor Grippeviren, nicht vor den vielen verschiedenen Erkältungsviren, die zum Teil grippeähnliche Symptome hervorrufen. Wenn eine solche schwere Erkältung in zeitlicher Nähe zur Grippeimpfung auftritt, wird sie häufig der Grippeimpfung angelastet – zu Unrecht.

Aktualisiert: 21.11.2019