Paul-Ehrlich-Institut

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Nach ethischer Neubewertung Fortsetzung klinischer Gentherapie-Prüfungen empfohlen

6 / 2002

Gemeinsame Pressemitteilung des Paul-Ehrlich-Instituts und der Bundesärztekammer

Als Ergebnis einer Sitzung am 19. November 2002 empfehlen das Paul-Ehrlich-Institut und die Bundesärztekammer (BÄK) die Weiterführung bestimmter klinischer Studien unter Verwendung lebender, retroviral modifizierter Zellen. Diese Entscheidung war möglich, nachdem die Studienprotokolle aufgrund einer ethischen Neubewertung geändert worden waren. Den Leitern der klinischen Prüfungen in Deutschland wurde unter anderem vorgeschrieben, die Beschreibung des Leukämiefalls in Frankreich und den vermuteten Zusammenhang mit dem Einbau retroviraler Vektoren in das Erbgut menschlicher Zellen in die Patienteninformationsschrift aufzunehmen.

Nach einer Expertensitzung am 17. September 2002 hatten das Paul-Ehrlich-Institut und die Kommission Somatische Gentherapie (KSG) des Wissenschaftlichen Beirats der Bundesärztekammer empfohlen, in Deutschland alle klinischen Gentherapie-Studien mit lebenden, retroviral modifizierten Zellen zu unterbrechen, nachdem in Frankreich ein Leukämiefall bei einer Studie mit retroviralem Gentransfer aufgetreten war (siehe "Gemeinsame Mitteilung des Paul-Ehrlich-Instituts und der Bundesärztekammer" vom 23.10.02 und "Gemeinsame Pressemitteilung des Paul-Ehrlich-Instituts und der Bundesärztekammer" vom 30.09.02 ). Bei der Expertensitzung war über den möglichen Zusammenhang zwischen dem in Frankreich aufgetretenen Leukämiefall und der Behandlung des betroffenen Kindes mit retroviral modifizierten Blutstammzellen beraten worden. Ein Zusammenhang wurde zunächst nicht ausgeschlossen und ist nach dem derzeitigen Wissensstand zu vermuten. Die Behandlung hatte im Beobachtungszeitraum von drei Jahren zur Heilung der angeborenen Immunmangelkrankheit SCID-X1 geführt.

Die Leiter der klinischen Prüfungen hatten zur Vorbereitung der Sitzung am 19. November, bei der eine Empfehlung über die Fortsetzung ihrer klinischen Prüfung beraten werden sollte, eine Änderung des Studienprotokolls vorlegen müssen. Die Protokolländerung sollten eine neue Risiko-/Nutzenanalyse der Studie, Aussagen zu einer möglicherweise notwendigen Anpassung der Ein- und Ausschlusskriterien der Patienten und eine Änderung der Patienteninformation umfassen. Von sechzehn betroffenen klinischen Prüfleitern kamen drei der Aufforderung nach, zwei legten einen Neuantrag vor. Elf klinische Studien waren bereits abgeschlossen oder werden nicht begonnen.

Als Ergebnis der Sitzung verlangt die KSG nun weitere Änderungen der Patienteninformation und der schriftlichen Risiko-/Nutzenanalyse für die drei verbleibenden klinischen Studien. Nach Erhalt der Änderungen wird die KSG den zuständigen, nach Landesrecht gebildeten Ethikkommissionen ein positives Votum zu den Studien empfehlen. Das Paul-Ehrlich-Institut, mit dem das Votum abgestimmt wurde, wird diese Empfehlung an die zuständigen Landesbehörden weitergeben. Bei den Studien, die nach entsprechender Änderung weitergeführt werden können, handelt es sich um die sogenannte CGD-Studie ('Chronic Granulomatous Disease', Chronische Granulomatose, eine angeborenen Immunmangelkrankheit) und zwei sogenannten GvHD-Studien ('Graft versus Host Disease', Spender-gegen-Wirt-Krankheit, - die lebensbedrohliche, überschießende Immunreaktion von Fremdspenderlymphozyten gegen Organe und Gewebe des Behandelten; weitere Informationen zu den Studien folgen).

"Kommission und Paul-Ehrlich-Institut haben den Leitern der klinischen Prüfungen und den vor der Entscheidung über eine Studienteilnahme stehenden Patienten nach dem Leukämiefall in Frankreich beratend zur Seite gestanden," bewertete Klaus Cichutek, Vorsitzender der Kommission Somatische Gentherapie und Vizepräsident des Paul-Ehrlich-Instituts das Verfahren. Mit der Verbesserung gentherapeutischer Behandlungsverfahren würden erste Therapieerfolge, aber auch schwerwiegende Nebenwirkungen sichtbar. Daher sei der Nutzen jeder Gentherapie vor dem Hintergrund der zu behandelnden Krankheit zu bewerten. "Ein Risiko wie das der Leukämieentstehung einzugehen, ist nur bei lebensbedrohlichen Krankheiten und in Erwartung eines zukünftigen Behandlungserfolgs vertretbar", so Cichutek. Über die Teilnahme an klinischen Prüfungen müsse jeder Patient selbst entscheiden, weshalb er umfassend insbesondere über Nutzen und Risiken aufzuklären sei. Andere Methoden, welche die Anwendung lebender, retroviral modifizierter Zellen im Rahmen der betroffenen klinischen Prüfungen ersetzen könnten, stehen derzeit nicht zur Verfügung.

Alle drei klinischen Studien der Phase I/II, für die eine Weiterführung empfohlen wird, haben primär zum Ziel, die Sicherheit und Verträglichkeit der Anwendung der genetisch modifizierten Zellen an lebensbedrohlich erkrankten Patienten zu prüfen. Über die zwei vorgelegten Neuanträge zu Studien unter Verwendung retroviral modifizierter Zellen wird im Normalverfahren entschieden werden. Hier ist bereits eine ethische Bewertung im Hinblick auf das vermutete Leukämierisiko durch Verwendung retroviraler Vektoren bei der Antragsformulierung eingeflossen. Die beiden Neuanträge betreffen Studien zur gentherapeutischen Behandlung der HIV-Infektion und der rheumatoiden Arthritis .

Prof. Dr. Klaus Cichutek, Vizepräsident des Paul-Ehrlich-Instituts, Vorsitzender der 'Kommission Somatische Gentherapie'

Hintergrundinformation:

In Deutschland wurden seit 1994 folgende klinische Studien unter Verwendung lebender, retroviral modifizierter Zellen angemeldet (Antrag bei der KSG und/oder Vorlage gemäß §40 Arzneimittelgesetz (AMG) beim Paul-Ehrlich-Institut oder dem Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM)).

  1. Gentherapie einer monogenen Erbkrankheit:

    Zur Behandlung der lebensbedrohlichen monogenen Erbkrankheit Chronische Granulomatose (CGD; "Chronic Granulomatous Disease") werden eigene (autologe) Blutstammzellen des Patienten übertragen, deren Gendefekt mittels retroviraler Übertragung des funktionellen Gens korrigiert wurde. Dies soll helfen, die angeborene Immunschwäche zu mildern oder zu heilen.

    Status: 1 angemeldete Studie; diese Studie wird nach Protokolländerung zur Weiterführung empfohlen.

  2. GvHD-Behandlung durch Suizidgentransfer und Ganciclovirgabe:

    Unterdrückung von Abstossungskomplikationen bei der Behandlung von Leukämien durch Transplantation fremder (allogener) Blutstammzellen und Lymphozyten. Die Übertragung der Fremdspenderlymphozyten ist eine konventionelle Tumorbehandlung, die nach vorhergehender Chemotherapie und allogener Stammzelltransplantation zu einer Unterdrückung der Leukämie führt (Spender-gegen-Leukämie Effekt). Allerdings kann als unter Umständen lebensbedrohliche Komplikation eine von den übertragenen Lymphozyten hervorgerufene, überschiessende immunologische Abwehrreaktion auftreten (Spender-gegen-Wirt Krankheit; GvHD). Wenn Fremdspenderlymphozyten verwendet werden, denen ein medikamentös aktivierbares, zellabtötendes Gen (Suizidgen; Thymidinkinasegen des Herpes simplex Virus) retroviral übertragen wurde, können diese Zellen bei Auftreten einer schwerwiegenden GvHD durch Gabe des spezifischen Medikaments im Körper abgetötet werden, so dass eine lebensbedrohliche Komplikation vermieden wird

    Status: 4 angemeldete Studien; unterbrochen, zwei dieser Studien werden nach Protokolländerung zur Weiterführung empfohlen

  3. HIV-Gentherapie:

    Durch Übertragung von Lymphozyten, die eine HIV-hemmendes Gen tragen, soll die HIV-Vermehrung im Körper unterdrückt werden.

    Status: 1 angemeldete Studie, nicht begonnen und permanent unterbrochen

    1 Neuantrag, im Normalverfahren zu bescheiden

  4. Einsatz eines Indikatorgens zum Verständnis der hämatopoetischen Rekonstitution:

    Im Rahmen der bei der Leukämiebehandlung indizierten Transplantation von Blutstammzellen werden genmarkierte Zellen übertragen. Bei der Rückbildung aller Blutzellen sollen Menge und Art der sich zurückbildenden Blutzellen analysiert werden.

    Status: 3 angemeldete Studien; permanent unterbrochen

  5. Lokale Gentherapie der rheumatoiden Arthritis:

    Aus von der Arthritis betroffenen Gelenken werden (Synovial)-Zellen entnommen. Nach Übertragung eines Gens (IRAP, "Interleukin Receptor Antagonist"), dessen Produkt zur Gelenkentzündung beitragende Faktoren (Zytokine) abfangen kann, werden die modifizierten Zellen wieder in das Gelenk übertragen

    Status: 1 angemeldete Studie, unterbrochen; Neuantrag zur Weiterführung dieser Studie ist im Normalverfahren zu bescheiden

  6. Übertragung von Medikamentenresistenzgen-modifizierten Blutstammzellen bei der Hochdosis-Chemotherapie maligner Tumoren:

    Die Krebstherapie soll durch Hochdosis-Chemotherapie effizienter werden. Da vor allem Blutzellen durch die Chemotherapeutika geschädigt werden, soll diese durch ein Gen geschützt werden, das eine Resistenz gegen mehrere Medikamente vermittelt (mdr ("multi drug resistance")-Gen). Das mdr-Gen wird auf die Blutstammzellen vor der Stammzelltransplantation übertragen.

    Status: 2 angemeldete Studien; abgeschlossen, 1 angemeldete Studie negativ begutachtet; daher nicht begonnen

  7. Hirntumor-Behandlung durch Injektion von Mauszellen, die einen Suizidgenvektor produzieren, gefolgt von Ganciclovirgabe:

    Bei Patienten mit fortschreitender Erkrankung werden bei der Operation des Hirntumors lebende Mausverpackungszellen übertragen, die retroviral Vektoren auf übergebliebene (residuale) Tumorzellen übertragen. Die Vektoren übertragen ein Selbstmord (Suizid)-Gen auf die Tumorzellen, welches diese empfänglich für die zellschädigenmde Wirkung des Medikaments Ganciclovir macht. Nach Ganciclovirgabe sollen diese Tumorzellen und die Verpackungszellen im Körper abgetötet werden.Status: 4 angemeldete Studien; abgeschlossen.

Pressekontakt:
Paul-Ehrlich-Institut
Pressestelle
Dr. Susanne Stöcker, Dörte Ruhaltinger
Paul-Ehrlich-Straße 51-59
63225 Langen
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Aktualisiert: 22.11.2002