Paul-Ehrlich-Institut

Hinweis zur Verwendung von Cookies

Zur Bereitstellung und Optimierung unseres Webauftritts möchten wir gerne statistische Informationen vollständig anonymisiert erfassen und analysieren. Dürfen wir hierzu vorübergehend einen Statistik-Cookie setzen?

Sie können Ihre Einwilligung jederzeit in unserer Datenschutzerklärung widerrufen.

OK

Relikte aus grauer Vorzeit als Angriffspunkt für Impfung gegen Krebs

06 / 2013

Forschern des Paul-Ehrlich-Instituts ist es gelungen, eine Besonderheit von Krebszellen für einen gezielten immunologischen Angriff zu nutzen: Während endogene Retroviren bei gesunden Zellen inaktiv sind, produzieren Krebszellen Proteine dieser Viren. Mit einem Impfstoff, der gegen diese endogenen Retroviren gerichtet ist, gelang es, bei Mäusen das Fortschreiten des Tumorwachstums deutlich zu bremsen. Durch prophylaktische Impfung ließ sich sogar die Entstehung des Tumors verhindern. Über die Forschungsergebnisse berichtet PLoS ONE in seiner Online-Ausgabe vom 30. August (23:00 CET).

Humane endogene Retroviren (HERV) sind vor langer Zeit in die menschliche Keimbahn geraten und werden von Generation zu Generation weitergegeben. Das menschliche Genom enthält mehrere Tausend endogene Retroviren. In der Regel verhalten sich die Gene der HERV stumm, werden also nicht exprimiert und in Proteine übersetzt. Forscher des Paul-Ehrlich-Instituts und andere Arbeitsgruppen hatten bereits zeigen können, dass es bei HIV-Patienten, aber auch bei verschiedenen Krebserkrankungen in den Tumorzellen verstärkt zur Expression der Gene einer Gruppe dieser Retroviren kommt. Die HERV-Gruppe konnte als "HERV-K/HML-2(hom)" (abgekürzt HERV-K) identifiziert werden.

PEI-Forscher in der Abteilung Virologie um Barbara Schnierle wollten nun wissen, ob sich die spezifische Genaktivität der HERV-K in Tumorzellen therapeutisch nutzen lässt, um gezielt Krebszellen zu bekämpfen. Um normale Zellen zu schonen, ist es notwendig, Strukturen bzw. Angriffspunkte ausfindig zu machen, die nur die Krebszellen aufweisen. Für ihre Untersuchungen verwendeten die Wissenschaftler um Prof. Barbara Schnierle, Leiterin der Forschungsgruppe "AIDS, Neue und neuartige Erreger" eine Mäuse-Nierenkrebszelllinie (Renca). Diese Zelllinie war genetisch so verändert worden, dass die Zellen das (menschliche) HERV-K-Hüllprotein bildeten, um so der Situation bei HERV-positiven menschlichen Krebszellen möglichst nahe zu kommen. Mäuse, denen diese Zellen intravenös appliziert wurden, entwickelten nach kurzer Zeit Lungenmetastasen.

Zellen der Mäuse-Nierenkrebszelllinie Renca. Links: ohne HERV-K-Hüllprotein-Produktion. Rechts: genetisch veränderte Renca-Zellen mit HERV-K-Hüllprotein (in rot). Zellen der Mäuse-Nierenkrebszelllinie Renca. Links: ohne HERV-K-Hüllprotein-Produktion. Rechts: genetisch veränderte Renca-Zellen mit HERV-K-Hüllprotein (in rot). Quelle: PEI

Zur "Impfung" gegen diese Tumoren nutzten die Forscher das modifizierte Vacciniavirus Ankara (MVA) als abgewandeltes Impfvirus, das sich nicht vermehren kann. In das MVA-Erbgut hatten Schnierle und Kollegen das Gen für das HERV-K-Hüllprotein eingebaut. Nach der Impfung wird das Gen in Zellen abgelesen und das Hüllprotein gebildet. Es wird dem Immunsystem als Antigen präsentiert, wodurch es zu einer Immunreaktion kommt.

Die PEI-Forscher prüften die Anwendbarkeit ihres "Impfstoffs" sowohl im Hinblick auf eine therapeutische als auch eine prophylaktische Vakzinierung: Für den therapeutischen Ansatz applizierten sie zunächst die genetisch veränderten Nierenkrebszellen, warteten zehn Tage, bis sich die Lungenmetastasen gebildet hatten und behandelten einen Teil der Mäuse mit dem MVA-Impfstoff. Bei den geimpften Tieren wuchsen die Tumoren deutlich langsamer und die Anzahl der Metastasen war geringer als bei den nicht geimpften Tieren. Eine vollständige Rückbildung des Tumors gelang allerdings nicht.

Bei der prophylaktischen Impfung fiel der Effekt noch stärker aus: Hier wurden die Tiere zunächst zweimal mit dem Virus geimpft (Tag 0 und 21) und erst zwölf Tage später die Krebszellen appliziert. Die geimpften Tiere waren vollständig vor einer Tumorbildung geschützt – es waren keine Metastasen nachweisbar.

"Die Befunde zeigen erstmalig, dass das HERV-K-Hüllprotein ein nützlicher Angriffspunkt für die Impfstoffentwicklung sein könnte und möglicherweise neue Optionen für die Behandlung verschiedener Tumorerkrankungen bietet", erläutert Schnierle.

Originalpublikation

DOI:10.1371/journal.pone.0072756

Kraus B, Fischer K, Büchner SM, Wels W, Löwer R, Sliva K, Schnierle B (2013): Vaccination directed against the human endogenous retrovirus-K envelope protein inhibits tumor growth in a murine model system.
PLoS One 8: e72756.
Text

Pressekontakt:
Paul-Ehrlich-Institut
Pressestelle
Dr. Susanne Stöcker, Dr. Corinna Volz-Zang, Brigitte Morgenroth
Paul-Ehrlich-Straße 51-59
63225 Langen
GERMANY
Telefon: +49 6103 77 1030
Telefax: +49 6103 77 1262
E-Mail: Presse@pei.de

Das Paul-Ehrlich-Institut in Langen bei Frankfurt am Main ist als Bundesinstitut für Impfstoffe und biomedizinische Arzneimittel eine Bundesoberbehörde im Geschäfts­bereich des Bundesministeriums für Gesundheit (BMG). Es erforscht, bewertet und lässt bio­medizinische Human-Arzneimittel und immunologische Tierarzneimittel zu und ist für die Genehmigung klinischer Prüfungen sowie die Pharmakovigilanz – Erfassung und Bewertung möglicher Nebenwirkungen – zuständig.

Die staatliche Chargenprüfung, wissenschaftliche Beratung/Scientific Advice und Inspektionen gehören zu den weiteren Aufgaben des Instituts. Unverzichtbare Basis für die vielseitigen Aufgaben ist die eigene experimentelle Forschung auf dem Gebiet der Biomedizin und der Lebenswissenschaften.

Das Paul-Ehrlich-Institut mit seinen rund 800 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern nimmt zudem Beratungsfunktionen im nationalen (Bundesregierung, Länder) und inter­nationalen Umfeld (Weltgesundheitsorganisation, Europäische Arzneimittel­behörde, Europäische Kommission, Europarat und andere) wahr.

Aktualisiert: 02.09.2013