Forschung am Paul-Ehrlich-Institut: Erkenntnisse zu natürlichen Gerinnungshemmern bei COVID-19
- Heparine und andere traditionelle Gerinnungshemmer zeigen begrenzte Wirkung bei schwerem COVID-19.
- Die natürlichen Plasmaprotease-Inhibitoren Antithrombin III (ATIII), α1-Antitrypsin (α1-AT) und α2-Makroglobulin (α2-M) sind bedeutsam für die Regulation von entzündlichen und thrombotischen Prozessen bei COVID-19.
- Studien deuten darauf hin, dass eine Ergänzung mit solchen natürlichen Gerinnungshemmern das Überleben von COVID-19-Patientinnen und -Patienten verbessern könnte.
Pressemitteilung
Die Behandlung von Patientinnen und Patienten mit schwerem COVID-19-Krankheitsverlauf nach einer SARS-CoV-2-Infektion bleibt schwierig. Insbesondere schwere Entzündungsreaktionen und thrombotische Komplikationen (Blutgerinnsel) können lebensbedrohlich verlaufen. Klassische Gerinnungshemmer (Antikoagulanzien) wie Heparin können diese Komplikationen oft nicht verhindern. Eine Auswertung von Literaturdaten zeigt, dass natürliche Gerinnungshemmer, sogenannte Plasmaprotease-Hemmstoffe, bei der Regulation der außer Kontrolle geratenen Entzündungs- und Gerinnungs-Prozesse bedeutsam sind und auf ihren therapeutischen Nutzen überprüft werden sollten. Über die Ergebnisse berichtet die Zeitschrift Biologicals vorab online.
Nach wie vor besteht dringender Bedarf an wirksamen Therapeutika zur Behandlung schwerer COVID-19-Verläufe. Ein diskutierter Ansatz ist die passive Immunisierung durch die Transfusion von COVID-19-Rekonvaleszentenplasma (COVID-19 convalescent plasma, CCP). Trotz intensiver Studien konnten bisher keine eindeutigen Beweise für die Wirksamkeit von CCP erbracht werden, was auch auf Unterschiede in den Studienparametern zurückzuführen sein könnte. Zwar zeigte eine neuere Studie, dass nach Verabreichung von CCP mit einem hohen Antikörpertiter innerhalb von fünf Tagen nach Beginn der invasiven Beatmung die Sterblichkeit signifikant sank. Dennoch bleiben Fragen zur Wirksamkeit von CCP und hergestelltem COVID-19-Hyperimmunglobulin (CHIG) offen. Andere aktuelle Studien haben bislang wenig bis keinen Einfluss auf die Gesamtsterblichkeit festgestellt.
Apl. Prof. Dr. Rainer Seitz, ehemals Kliniker an der Universitätsklinik Marburg und Leiter der Abteilung Hämatologie und Transfusionsmedizin des Paul-Ehrlich-Instituts, hat sich zusammen mit den ebenfalls emeritierten Kollegen Prof. Dr. Lutz Gürtler, ehemals Virologe an der Ludwig-Maximilians-Universität München (LMU) und Prof. Wolfgang Schramm, ehemals Hämatologe an der LMU mit der Thematik befasst und die verfügbaren Daten zu den drei natürlichen Protease-Inhibitoren Antithrombin III (ATIII), α1-Antitrypsin (α1-AT) und α2-Makroglobulin (α2-M) ausgewertet. Protease-Inhibitoren hemmen die Aktivität von eiweißabbauenden Enzymen.
Protease-Inhibitor Antithrombin III (ATIII)
ATIII ist als plasmagewonnenes Konzentrat erhältlich und bei schwerem COVID-19 signifikant vermindert. Dies deutet darauf hin, dass ATIII allmählich verbraucht wird und seine Ergänzung eine Option sein könnte, insbesondere da gezeigt wurde, dass ATIII die Aktivität der transmembranen Serinprotease 2 (TMPRSS2) hemmt. Klinische Studien haben gezeigt, dass ATIII-Plasmaspiegel bei Personen, die die Infektion nicht überlebt haben, signifikant niedriger sind als bei Überlebenden.
Protease-Inhibitor α1-Antitrypsin (α1-AT)
Plasmagewonnenes α1-AT ist bei Erwachsenen mit schwerem α1-AT-Mangel zugelassen, um das Fortschreiten von Emphysemen (Schädigung von Lungenbläschen) zu verlangsamen. Epidemiologische Studien fanden eine Korrelation zwischen α1-AT-Mangel und COVID-19-Pathogenese. α1-AT hemmt ebenfalls die TMPRSS2-Aktivität und könnte somit therapeutisch nützlich sein.
Protease-Inhibitor α2-Makroglobulin (α2-M)
Der Proteaseinhibitor α2-M ist derzeit nicht als therapeutisches Präparat erhältlich. Klinische Daten deuten auf eine Reduktion von α2-M bei COVID-19 hin. Es gibt mehrere Argumente, sein prädiktives und therapeutisches Potenzial weiter zu erforschen, da es ein vielseitiger Moderator von Abwehrsystemen des Wirts ist.
Die Autoren betonen abschließend die aus ihrer Sicht notwendige intensive Forschung, um die vielversprechenden Möglichkeiten der Plasmaprotease-Inhibitoren in der COVID-19-Therapie weiter zu erforschen. Aus ihrer Sicht könnte dies nicht nur die Prognose von COVID-19-Patientinnen und -Patienten verbessern, sondern auch neue therapeutische Felder für andere Erkrankungen wie die Sepsis – die schwerste Verlaufsform einer Infektion, auch als Blutvergiftung bekannt – eröffnen.
Originalpublikation
Seitz R, Gürtler L, Schramm W (2024): COVID-19: A case for plasma derived natural anticoagulants?.
Biologicals 87: 101781.
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