EU-Konsortium imSAVAR: Innovative Ansätze für sichere Immuntherapien – Das Paul-Ehrlich-Institut stellt zwei Studien vor
- Das Paul-Ehrlich-Institut beteiligt sich intensiv an mehreren Teilprojekten des EU-Konsortiums imSAVAR.
- Die Ergebnisse aus zwei vom Institut geführten Übersichtsartikeln zu den Mechanismen immunvermittelter Nebenwirkungen liegen vor: "Rekombinante IL-2-Therapie – Ansätze aus der Vergangenheit bis heute“ und "Immuntherapie-vermittelte erhöhte Gefäßdurchlässigkeit am Beispiel von IL-2".
Zitat Dr. Patricia Gogesch
Pressemitteilung
Das EU-Konsortium imSAVAR (Immune Safety Avatar) will Immuntherapien sicherer machen. Insbesondere die Bewertung ihrer Wirksamkeit und Sicherheit vor der Erstanwendung beim Menschen (Präklinik) stellt eine Herausforderung dar. Präklinische Modellsysteme sollen weiterentwickelt und neue Biomarker identifiziert werden, um Nebenwirkungen frühzeitig zu entdecken und zu reduzieren. Dazu nutzt das gesamte Konsortium sogenannte "immune-related Adverse Outcome Pathways" (irAOP) als zentrales Tool. Eine Sonderausgabe des Journal of Immunotoxicology 2024 berichtet dazu in zehn Artikeln. Hier stellt das Paul-Ehrlich-Institut zwei Übersichtsartikel daraus vor.
Quelle: A.Buck/Paul-Ehrlich-Institut
"Rekombinante IL-2-Therapie – Ansätze aus der Vergangenheit bis heute"
Die Wissenschaftlerinnen fassen in diesem Beitrag die historische Nutzung der rekombinanten humanen Interleukin-2 (recIL-2)-Therapie und deren Nebenwirkungen zusammen, erklären die molekularen Grundlagen der dualen Wirkungsweise von Interleukin-2 (IL-2) und geben einen Überblick über neue recIL-2-Moleküle und -Verabreichungssysteme, die derzeit entwickelt werden.
IL-2 war eines der ersten entdeckten Zytokine und spielt eine zentrale Rolle in der Funktion von T-Zellen. Bereits früh wurde erkannt, dass IL-2 bestimmte Immunzellen aktivieren kann, die wiederum in der Lage sind, Krebszellen zu bekämpfen. Das recIL-2 war einer der ersten immuntherapeutischen Wirkstoffe gegen Krebs, der eine Marktzulassung erhalten hat. Zwar erwies es sich bei einigen Krebserkrankungen als wirksam, wird jedoch aufgrund schwerer systemischer Nebenwirkungen bis heute nur eingeschränkt eingesetzt.
Das therapeutische Potenzial von recIL-2 wird trotzdem bis heute anerkannt: Es kann das Immunsystem stimulieren, was bei der Krebstherapie vorteilhaft ist, oder eine Immunsuppression bewirken, was z. B. bei entzündlichen Prozessen wie Autoimmunerkrankungen genutzt wird.
Aufgrund dieser vielfältigen Effekte ist die recIL-2-Therapie weiterhin hochinteressant. Neue, modifizierte recIL-2-Wirkstoffe zeigen in präklinischen und klinischen Studien verbesserte Wirksamkeit und Sicherheit.
Originalpublikation
Roser LA, Sommer C, Ortega Iannazzo S, Sakellariou C, Waibler Z, Gogesch P (2024): Revival of recombinant IL-2 therapy – approaches from the past until today.
J Immunotoxicol Dec 10 [Epub ahead of print].
Text
"Immuntherapie-vermittelte erhöhte Gefäßdurchlässigkeit durch IL-2"
Eine der häufigsten Nebenwirkungen der IL-2-Immuntherapie ist die erhöhte Gefäßdurchlässigkeit (vascular leakage). Ziel dieser Arbeit war es, mit Hilfe eines Fallbeispiels das Wissen um Gefäßleckagen im Allgemeinen und durch IL-2-Therapie im Speziellen zusammenzutragen und so Wissenslücken zu identifizieren.
Das Fallbeispiel gibt einen Überblick über die Entwicklung von Gefäßleckagen im Zusammenhang mit Hochdosis-IL-2-Therapien aus immunologischer Sicht. Mit Hilfe eines "immune-related Adverse Outcome Pathway" (irAOP) werden mit dem Fallbeispiel Wissenslücken und potenzielle Biomarker identifiziert, die als Grundlage für laufende und zukünftige Experimente dienen. Die gewonnenen Erkenntnisse können dazu beitragen, die Sicherheit von IL-2-basierten Immuntherapien zu verbessern und sollen helfen, das Verständnis und die Prävention von Gefäßleckagen als kritische Nebenwirkung zu fördern.
Bei krankhaft erhöhter Gefäßdurchlässigkeit kommt es zum Austritt von Blutplasma und Plasmaproteinen aus den kleinsten Blutgefäßen (Kapillargefäßen) ins darunterliegende Gewebe. Das sogenannte Kapillarlecksyndrom ist mit einer Sterblichkeitsrate von 20 bis 30 Prozent eine ernsthafte und zudem häufig unterdiagnostizierte Erkrankung. Erhöhte Gefäßdurchlässigkeit generell kann als schwere Nebenwirkung bei Immuntherapien auftreten und zu weiteren Nebenwirkungen bis hin zum Organversagen führen. Obwohl die Biologie von Endothelzellen, also den Zellen, die das Gefäßsystem auskleiden, und mögliche Einflussfaktoren hinter den Leckagen seit Jahren erforscht werden, sind die genauen Mechanismen, die zu einer erhöhten Gefäßdurchlässigkeit führen, noch ungeklärt.
Originalpublikation
Gogesch P, Ortega Iannazzo S, Zimmermann T, Villenave R, Waibler Z (2024): Analyzing IL-2-induced vascular leakage with an irAOP as tool.
J Immunotoxicol Dec 10 [Epub ahead of print].
Text
Hintergrund – Projekt imSAVAR
Innovative Methoden – mit irAOPs Signalwege sichtbar machen
Um das Ziel des EU-Konsortiums imSAVAR (Immune Safety Avatar) – die nichtklinische Nachahmung der Auswirkungen immunmodulatorischer Therapien auf das Immunsystem – zu verfolgen, wurde ein theoretisches Tool zur Abbildung der Schlüsselereignisse immunbedingter unerwünschter Wirkungen – immune related adverse outcome pathways, kurz irAOPs genannt – genutzt. In der Toxikologie – der Lehre von den Giften – werden Signalwege von Nebenwirkungen (adverse outcome pathways, AOPs) bereits routinemäßig zur Darstellung biologischer, zu Toxizität führender Reaktionskaskaden erstellt und u. a. für Risikobewertungen oder auch regulatorische Entscheidungsfindung angewandt.
In imSAVAR wurden irAOPs für konkrete Immuntherapien als Fallbeispiele erstellt. Sie wurden u. a. genutzt, um
- Lücken (z. B. unbekannte Mechanismen die einer Nebenwirkung zugrunde liegen), sogenannte Gaps, zu identifizieren und zu analysieren.
- Maßnahmen zu entwickeln, um diese Gaps zu füllen,
- eine Wissensplattform zu erstellen, an der verschiedene Partner unterschiedlichster Expertisen zusammenarbeiten.
Forschungsengagement des Paul-Ehrlich-Instituts im EU-Konsortium imSAVAR
Seit Projektbeginn des EU-Konsortiums imSAVAR am 01.12.2019 war das Paul-Ehrlich-Institut unter der Leitung von apl. Prof. Dr. Zoe Waibler, kommissarische Vizepräsidentin und Fachgebietsleiterin Produktprüfung Immunologischer Arzneimittel, zusammen mit Dr. Patricia Gogesch und Samira Ortega Iannazzo, beide Fachgebiet Forschung Immunologie, gleich in vier Teilprojekten aktiv an den imSAVAR-Forschungsarbeiten beteiligt. Ihr Themenfokus liegt darauf, Mechanismen zu untersuchen, die der erhöhten Gefäßdurchlässigkeit (vascular leakage) zugrunde liegen. Vascular leakage kann als immunvermittelte Nebenwirkung von Immuntherapien auftreten. Das intensive Forschungsengagement im EU-Konsortium imSAVAR des Paul-Ehrlich-Instituts spiegelt sich auch darin wider, dass das Forschungsteam sich mit vier der insgesamt zehn Publikationen in der Sonderausgabe des Journal of Immunotoxiccology 2024 beteiligt.