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Multiple Sklerose und Impfungen

Neue epidemiologische Daten zeigen keinen Zusammenhang zwischen Multipler Sklerose und einer vorausgegangenen Tetanusimpfung

In der Vergangenheit wurde immer wieder die Sorge geäußert, ob Impfstoffe das Entstehen von Autoimmunerkrankungen wie die Multiple Sklerose (MS) auslösen könnten. Mehrere umfangreiche epidemiologische Studien haben den Zusammenhang zwischen MS und Hepatitis-B Impfung untersucht. Eine kürzlich veröffentlichte Metaanalyse (Zusammenfassung von Ergebnissen verschiedener Untersuchungen) zur Frage eines Zusammenhangs zwischen einer Tetanus-Impfung und der Entstehung einer MS konnte keinen Zusammenhang zeigen, vielmehr weist die Metaanalyse sogar auf einen möglichen schützenden Effekt der Impfung hin [1]: Im Rahmen der Metaanalyse wurden neun Fall-Kontroll-Studien aus verschiedenen Ländern im Zeitraum 1968 bis 2004 ausgewertet, die das Risiko der Entstehung einer MS nach Tetanusimpfung untersucht hatten. Aus diesen Studien, die insgesamt 963 Fälle und 3126 Kontrollen enthalten, errechnet sich ein mittleres Odds Ratio * (OR, Chancen-Verhältnis) von 0,67 (95% Konfidenzintervall (CI): 0,55 -0,81). Das Ergebnis der Metaanalyse spricht für ein signifikant (um ein Drittel) reduziertes Risiko, an MS zu erkranken, wenn eine Tetanus-Impfung vorausgegangen ist.

Von Bedeutung ist, dass die Ergebnisse der neun Studien konsistent in die gleiche Richtung weisen. Die Studie mit dem größten Gewicht in dieser Auswertung ist eine Fall-Kontroll-Studie des CDC (Centers for Disease Control and Prevention, USA). Sie allein umfasst 440 Fälle (332 mit MS, 108 mit Optikusneuritis) und 950 Kontrollen. [2]. Für die Tetanus-Impfung wurde hier ein OR von 0,6 (CI: 0,4-0,8) ermittelt.

Die Autoren formulierten zwar eine durchaus interessante Hypothese, die diesen "Schutzeffekt" erklären könnte, eine eindeutige Antwort auf die Frage, wie der Mechanismus dieser "Schutzwirkung" der Tetanus-Impfung sein könnte, gibt es jedoch nicht. So wird diskutiert, ob die Fähigkeit von Tetanustoxoid (TT), eine T-Helfer-Zell-Aktivierung auszulösen und dabei die sogenannte Th2-Zellen gegenüber den Th1-Zellen zu begünstigen (sogenannte"Th1->Th2-shift"), eine Rolle spielen könnte. Es gibt Hinweise, dass bei der Entstehung und dem Fortschreiten von MS myelinreaktive Th1-Zellen eine Rolle spielen [3]. Es wird vermutet, dass diese von den in Th2-Zellen produzierten Botenstoffen (anti-inflammatorische Zytokine) unterdrückt werden und dass dadurch die Entstehung der MS verhindert werden könnte [1]. Eine alternative Erklärung könnte sein, dass die Tetanus-Impfung als Marker für einen, noch unbekannten, anderen Schutzfaktor fungiert. Dieser müsste allerdings sehr eng mit der Impfung assoziiert sein, damit eine so deutliche Risikoreduktion zustande kommen kann.

Auch wenn der "schützende" Effekt der Tetanusimpfung schon wegen des Fehlens eines bewiesenen plausiblen Mechanismus nicht belegt ist, so kann doch umgekehrt festgestellt werden, dass die Tetanusimpfung kein Risiko für die Entstehung einer MS ist.

In der großen Fall-Kontroll-Studie der CDC (siehe oben, [2]) wurden neben der Tetanus-Impfung auch andere Impfungen registriert und ausgewertet: Hepatitis B-, Influenza-, Masern-, Röteln- und MMR-Impfung. Für diese Impfungen wurden ebenfalls odds ratios <1,0 gefunden. Anders als im Fall der Tetanus-Impfung waren diese jedoch nicht statistisch signifikant. Als wichtiges Gesamtergebnis dieser Studie ist aber festzuhalten, dass für keine der genannten Impfungen zu keinem Zeitpunkt ein Hinweis auf ein erhöhtes Risiko für die Entwicklung einer MS gefunden wurde (vergleiche auch Multiple Sklerose und Impfungen - Hepatitis-B-Impfung ).

Auch bezüglich eines möglichen Zusammenhangs zwischen einer Impfung und einer Schubauslösung bei bestehender MS belegt eine neuere Metaanalyse aller durchgeführten Studien die Sicherheit von Impfungen [5]: Für die Tetanus-, BCG-, Hepatitis B- und Varizella-Impfung gibt es keine Evidenz für ein erhöhtes Risiko, nach der jeweiligen Impfung einen MS-Rückfall zu erleiden, für die Influenza-Impfung zeigen die Daten sogar eine klare Evidenz gegen ein erhöhtes Risiko.

Fazit

Entgegen immer wieder geäußerten Befürchtungen, dass Impfungen zu Multipler Sklerose führen oder bei bestehender MS einen akuten Schub der Erkrankung auslösen könnten, gibt es jetzt mehr und mehr epidemiologische Hinweise darauf, dass Impfungen nicht mit einem erhöhten Risiko für MS einhergehen.

Literatur

[1] Hernan MA et al. Tetanus vaccination and risk of multiple sclerosis. Neurology 2006; 67:212-215
[2] DeStefano et al. Vaccinations and risk of central nervous system demyelinating disease in adults. Arch Neurol 2003; 60:504-509
[3] Hemmer et al. New concepts in the immunopathogenesis of multiple sclerosis. Nat Rev Neurosci 2002; 3:291-301
[4] Verstraeten et al. Immunity to tetanus is protective against the development of multiple sclerosis. Med Hypoth 2005; 65:965-969
[5] Rutschmann et al. Immunization and MS. A summary of published evidence and recommendations. Neurology 2002;59:1837-1843

* Odds stellen in der Wahrscheinlichkeitstheorie und Statistik eine Möglichkeit dar, Wahrscheinlichkeiten anzugeben. In der Statistik verwendet man das Odds Ratio, um den Unterschied zweier Odds zu bewerten und damit Aussagen über die Stärke von Zusammenhängen machen.

Aktualisiert: 09.01.2008