Paul-Ehrlich-Institut

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2. Bericht: Information zu Verdachtsfallberichten, KW 44-46

Information zu Verdachtsfallberichten von Nebenwirkungen und Impfkomplikationen nach Anwendung des in Deutschland zugelassenen Schweinegrippe (H1N1)-Impfstoffs Pandemrix

Einleitung

Diese Internetseite gibt einen Überblick über Verdachtsfallberichte von Nebenwirkungen und Impfkomplikationen nach Impfung mit dem Schweinegrippe-Impfstoff Pandemrix, die beim Paul-Ehrlich-Institut in Kalenderwoche 44 bis 46 (bis einschließlich Donnerstag 12.11.2009, 17:00 Uhr) eingegangen sind. Die Fälle wurden von Ärzten, Apothekern, Gesundheitsämtern und dem pharmazeutischen Unternehmer gemeldet. Eingeschlossen sind außerdem Meldungen aus der Bevölkerung, die nach Rücksprache mit den behandelnden Ärzten validiert wurden.

Es wird darauf hingewiesen, dass es sich bei den Meldungen um Verdachtsfälle handelt, die in zeitlichem Zusammenhang mit der Impfung aufgetreten sind. Eine aufgeführte unerwünschte Reaktion bedeutet aber nicht notwendigerweise, dass ein ursächlicher Zusammenhang mit der Impfung besteht. Ein Berichtsfall (Verdachtsfall) kann auch mehrere unerwünschte Reaktionen beinhalten, z.B. Kopfschmerzen, Müdigkeit und Übelkeit.

Das Paul-Ehrlich-Institut wertet die eingegangenen Meldungen nach Registrierung in einer Datenbank dahingehend aus, ob sich aufgrund der vorliegenden Datenlage die Nutzen-Risiko-Bewertung des Impfstoffs ändert und deswegen gegebenenfalls Maßnahmen, z.B. nach dem Arzneimittelgesetz, zu ergreifen sind. Die Informationen werden in regelmäßigen Abständen aktualisiert. Das Paul-Ehrlich-Institut möchte entsprechend seiner Leitprinzipien durch größtmögliche Transparenz allen Interessierten die Möglichkeit geben, sich aktuell über die Datenlage zu informieren.

Es wird außerdem darauf hingewiesen, dass Zahl, Art und Schweregrad der aufgeführten Fälle keinen Rückschluss auf die tatsächliche Häufigkeit und das Spektrum von Nebenwirkungen erlauben. Die Meldungen bieten aber die Möglichkeit, etwaige Risikosignale zeitnah zu erkennen und gegebenenfalls darauf zu reagieren. Eine Online-Meldung von Verdachtsfällen ist über www.pei.de möglich.

Übersicht

Im genannten Zeitraum sind dem Paul-Ehrlich-Institut bei 197 Personen Verdachtsfälle von unerwünschten Reaktionen nach Impfung mit Pandemrix gemeldet worden. Die 197 Meldungen umfassen insgesamt 652 unerwünschte Ereignisse (ein Verdachtsfallmeldung kann mehrere Reaktionen beinhalten). Die Patienten waren zwischen zehn Monaten und 92 Jahre alt (Median 38 Jahre, Mittelwert 37,4 Jahre). 53 Meldungen wurden als schwerwiegend vom Melder oder vom Paul-Ehrlich-Institut (PEI) bewertet. Auf der Grundlage der von drei Bundesländern bisher übermittelten verimpften Dosen, lässt sich grob abschätzen, dass zwischen 1 - 1,5 Millionen Dosen Pandemrix verimpft sein könnten. Weitere Bundesländer werden die Daten zur Exposition zu einem späteren Zeitpunkt mitteilen, so dass dann eine genauere Schätzung der insgesamt verimpften Dosen vorgenommen werden kann.

Am häufigsten wurden Lokalreaktionen an der Injektionsstelle (z.B. Schmerzhaftigkeit, Rötung, Schwellung) und Allgemeinreaktionen, die bekanntermaßen nach einer Impfung auftreten können (z.B. Kopfschmerzen, Fieber, Müdigkeit, Muskel- oder Gliederschmerzen, Übelkeit, Lymphknotenschwellung) berichtet. Diese Reaktionen sind in der Fach- und Gebrauchsinformation aufgeführt. Vergleicht man die gemeldeten Reaktionen von Pandemrix nach Organklassen mit den gemeldeten Reaktionen nach allen anderen saisonalen Grippeimpfstoffen, die dem PEI seit dem Jahr 2000 gemeldet wurden, so erscheint das Spektrum der gemeldeten unerwünschten Ereignisse bezogen auf Organklassen nicht auffällig. Einzige Ausnahme stellt die prozentual häufigere Meldung von unerwünschten Ereignissen in der Organklasse "Allgemeine Erkrankungen und Beschwerden am Verabreichungsort" dar. Dies ist erwartet, da schon in klinischen Studien gezeigt wurde, dass Lokal- und Allgemeinreaktionen nach Pandemrix häufiger vorkommen als nach nicht-adjuvantiertem Grippeimpfstoff.

64 Patienten (32,5 %) waren vollständig wieder hergestellt und bei zwei Patienten (1 %) hatte sich der Gesundheitszustand zum Zeitpunkt der Meldung bereits gebessert. 45 Patienten (22,8 %) waren zum Zeitpunkt der Meldung noch nicht wieder hergestellt. Bei 85 Patienten (43,2%) wurde der Ausgang der unerwünschten Ereignisse als unbekannt gemeldet. In keinem Fall wurde über einen bleibenden Schaden berichtet. Da in vielen Fällen noch weitere Informationen angefordert sind, geht das PEI davon aus, dass der Anteil der Meldungen mit unbekanntem Ausgang der unerwünschten Ereignisse noch zurückgehen wird.

Reaktionen

Meldungen über Todesfälle in zeitlichem Zusammenhang mit der Impfung

Zwei Patienten im Alter von zwei Jahren, bzw. 92 Jahren verstarben. In beiden Fällen wurde eine Obduktion angefordert, die letztendlich Aufschluss über die Todesursache geben wird.

Ein Kleinkind mit schwerem angeborenen Herzfehler und dadurch stark eingeschränkter Funktion der Lunge, das für eine Herz-/Lungentransplantation vorgesehen war, entwickelte ca. 30 Stunden nach der Impfung leichtes Fieber und Unruhe. Im Verlauf entwickelte das Kind eine akute respiratorische Dekompensation und starb trotz Beatmung.

Eine 92-jährige Frau verstarb drei Tage nach einer H1N1-Impfung. An zwei aufeinander folgenden Tagen wurde zunächst gegen die saisonale Influenza, dann gegen die pandemische Influenza geimpft. Bekannt waren ein Bluthochdruck und eine leichte Nierenfunktionseinschränkung. In der jüngeren Vergangenheit hatte es offenbar bereits Synkopen gegeben, die auf die fehlerhafte Einnahme von Medikamenten zurückgeführt worden waren. Drei Tage nach der zweiten Impfung war die Patientin nach dem Mittagschlaf somnolent, blass, bradykard und hypoton. Die Patientin verstarb im Laufe des Tages im Krankenhaus.

Die Meldungen sind vor dem Hintergrund der Gesamtmortalität der Bevölkerung zu sehen. Würden eine Million Menschen, die repräsentativ für die Gesamtbevölkerung sind, geimpft, so wäre auf der Grundlage der Daten des Statistischen Bundesamtes (für das Jahr 2007) mit etwa 27 rein zufällig auftretenden Todesfällen (alle Todesursachen) innerhalb von 24 Stunden nach Impfung zu rechnen.

Anaphylaktische/anaphylaktoide Reaktionen

Elf Fälle eines Verdachts einer anaphylaktischen Reaktion unterschiedlichen Schweregrades sind dem PEI gemeldet worden. Eine Meldung ist auf Grund mangelhafter Information noch nicht beurteilbar. Auf der Basis der berichteten Reaktionen lassen sich die Meldungen entsprechend der Klassifizierung der anaphylaktischen Reaktionen I-IV nach Ring und Messmer wie folgt einteilen: Nach Ansicht des PEI entspricht ein Fall einem Grad I (lediglich Hautsymptome), drei Fälle einem Grad II, drei Fälle einem Grad III und bei drei Fällen lässt sich derzeit nicht beurteilen, ob es sich um einen Grad II oder III handelt. Bei den zehn Patienten handelt es sich um drei Männer und sieben Frauen im Alter zwischen 19 und 64 Jahren (Mittelwert 32 Jahre). Die Reaktionen begannen zwischen wenigen Minuten und 40 Minuten nach der Impfung (Median acht Minuten). In einem Fall wurde der Verdacht einer versehentlich intravasalen Injektion geäußert. Bemerkenswert ist ein Fall, bei dem es verhältnismäßig spät, 40 Minuten nach der Impfung, zum Auftreten von Symptomen kam. Trotz initialer Gabe von Kortikosteroiden traten wenige Stunden nach einem symptomfreien Intervall erneut Symptome (Glottisödem) auf. Es gibt Hinweise, dass der frühzeitige Einsatz von Glukokortikoiden (z.B. 250mg – 1g Prednisolon intravenös) eine biphasische Reaktion verhindern kann. In zwei Fällen war anamnestisch eine Pollenallergie bekannt, in einem weiteren Fall wurde eine Allergie gegen mehrere Medikamente angegeben. Um eine genauere Bewertung der zehn Fälle vornehmen zu können, hat das PEI einen speziellen Fragebogen entwickelt, der den meldenden Ärzten zugesandt wurde.

Es ist fraglich, ob es sich in allen Fällen tatsächlich um anaphylaktische Reaktionen handelt. Klinisch oft nicht zu unterscheiden von anaphylaktischen Reaktionen sind anaphylaktoide Reaktionen. Bei der anaphylaktoiden Reaktion kommt es zu einer Histaminausschüttung aus Mastzellen, die nicht durch IgE-Antikörper ausgelöst wird. Anaphylaktoide Reaktionen sind ausgesprochen selten. Der Pathomechanismus wurde noch nicht abschließend geklärt. Die Behandlung einer anaphylaktischen bzw. anaphylaktoiden Reaktion in der akuten Phase unterscheidet sich nicht, da die Therapie Symptombezogen erfolgt (siehe Leitlinien der Deutschen Gesellschaft für Allergologie und klinische Immunologie (DGAKI) zu 'Akuttherapie anaphylaktischer Reaktionen').

Neurologische Reaktionen

Insgesamt wurden sechs Fälle mit verschiedenen neurologischen Reaktionen berichtet, die vom PEI oder vom Meldenden als schwerwiegend bewertet wurden. Mit Ausnahme von zwei Berichten handelt es sich um unklare Symptomenkomplexe, die keine Rückschlüsse auf eine Erkrankung zulassen. Ein gemeinsames Muster im Sinne eines möglichen Signals ergibt sich nicht.

Ein Fall einer Neuritis wurde bereits im Bericht vom 9.11.2009 ausführlich beschrieben. Zusätzlich wurden berichtet:

  • Ein epileptischer Anfall kurz nach der Impfung bei bekannter Epilepsie. Es handelt sich um eine Patientenmeldung. Ob es sich um einen zeitlich zufälligen oder ursächlichen Zusammenhang handelt, lässt sich nicht beurteilen
  • Hypästhesie am Impfarm zwei Tage nach der Impfung
  • Doppelbilder, Kopfschmerzen und Schwindel zwei Tage nach der Impfung, die vermutlich im Zusammenhang mit der bestehenden Hypertonie zu sehen sind
  • Temporale Kopfschmerzen, Wortfindungsstörungen, Desorientiertheit, Gesichtsfeldausfälle, Übelkeit und ein unsystematischer Schwindel sieben Tage nach der Impfung. Die gleichen Symptome sind bereits bei anderer Gelegenheit berichtet worden, was gegen einen ursächlichen Zusammenhang mit der Impfung spricht.
  • Ein unklares Krankheitsbild mit Unwohlsein, Schüttelfrost, Gliederschmerzen, Kribbeln im rechten Arm, Gefühlsstörung im rechten Fuß, Taubheit der Zunge und Schwellung des Halses kurz nach der Impfung, das derzeit abgeklärt wird.

Kardiovaskuläre Reaktionen

Drei kardiovaskuläre Reaktionen wurden als schwerwiegend bewertet.

Ein Fall einer Perimyokarditis (Entzündung von Herzbeutel und Herzmuskel) vier Tage nach der Impfung wurde mitgeteilt. Eine abschließende Bewertung ist derzeit nicht möglich, da weitere Untersuchungen unter stationären Bedingungen erfolgen. Häufigste Ursache der Perimyokarditis ist eine Virusinfektion (Coxsackie-Viren, Ebstein-Barr-Virus, Cytomegalie-Virus). Ohne Infektion kann eine Perimyokarditis im Rahmen von entzündlich-rheumatischen und immunologischen Erkrankungen, z.B. bei Kollagenosen auftreten. Darüber hinaus gibt es isolierte Autoimmun-Perimyokarditiden ohne zugrundeliegende andere Erkrankung.

Nach der Impfung kam es bei einem Mann zu Angina pectoris, die drei Minuten andauerte. Weitere Informationen stehen aus.

Einen Fall einer Muskelvenenthrombose des linken Unterschenkels erlitt ein 42 Jahre alter Mann drei Tage nach der Impfung. Verschiedene Ursachen wie Immobilisation, lange Flug/Autoreise, Krampfadern und operative Eingriffe bei Krampfadern, Trauma und Gerinnungsstörung sind bekannt. Bei ca. 25 % der Fälle kann keine Ursache ermittelt werden. Es ist nicht ersichtlich, wie eine Impfung am Arm zu einer isolierten Muskelvenenthrombose im Unterschenkel führen kann.

(Auto)immunreaktionen bzw. Auslösung eines Schubs einer Autoimmunreaktion

Ein Fall einer möglichen Reaktivierung einer Rheumatoiden Arthritis wurde bereits im Bericht vom 9.11.2009 beschrieben. In einem zweiten Fall wurde die Reaktivierung eines M. Bechterew am Tag nach der Impfung gemeldet.

In einem Fall kam es drei Tage nach Impfung zu Symptomen einer Purpura Schoenlein-Henoch mit Gelenkbeteiligung bei einem 52 Jahre alten Mann. Die Purpura ist eine meist komplikationslos verlaufende, immunologisch vermittelte Vaskulitis (Entzündung) der kleinen Blutgefäße (Kapillaren, prä- und postkapilläre Gefäße) unbekannter Ursache, die bevorzugt Haut, Gelenke, Darm und Nieren betrifft. Sie tritt am häufigsten im Vorschul- und Schulalter, selten bei Erwachsenen (hier offenbar bevorzugt bei Männern) nach einem vorausgehenden Atemwegsinfekt oder anderen Auslösern (z. B. Medikamenten) auf, beginnt akut und verläuft häufig in Form mehrerer Schübe. In der großen Mehrzahl der Fälle heilt die Erkrankung folgenlos aus. Die Prognose bei Kindern ist insgesamt besser als bei Erwachsenen.

Derzeit kann ein in den beschriebenen Fällen ein immunpathogenetischer Zusammenhang mit der Impfung weder ausgeschlossen noch bestätigt werden.

Meldungen von Verdachtsfällen von Nebenwirkungen bei Kindern und Jugendlichen

15 Meldungen bezogen sich auf Kinder und Jugendliche im Alter von zehn Monaten bis 17 Jahren (Mittelwert 12,5 Jahre). Die gemeldeten Symptome zählen zu den bekannten, in der Fachinformation aufgeführten Nebenwirkungen mit Ausnahme einer Meldung eines Asthmaanfalls bei einem sechs Jahre altem Kind mit bekanntem Asthma und eines Falls einer Neurodermitis, der wegen mangelhafter Information nicht beurteilbar ist.

Bewertung

Aufgrund der derzeit vorliegenden Daten ergibt sich kein Hinweis auf eine geänderte Nutzen-Risiko-Abwägung für Pandemrix. Anaphylaktische/anaphylaktoide Reaktionen wurden sehr selten berichtet (ca. ein Fall auf 100 000 Impfdosen). Beachtenswert ist, dass bei den Patienten die Anamnese offenbar keinen Hinweis auf eine Allergie auf einen Bestandteil des Impfstoffes (z.B. Hühnereiweißallergie) ergab.

Impfende Ärzte sollten stets, auch bei Patienten mit allergologisch unauffälliger Anamnese, entsprechende Notfallmaßnahmen bereit haben. Im Fall einer anaphylaktischen/anaphylakoiden Reaktion ist eine leitliniengerechte Therapie zu gewährleisten. Patienten mit anaphylaktischen/anaphylaktoiden Reaktionen sollten über einen möglichen biphasischen Verlauf aufgeklärt werden. Das Paul-Ehrlich-Institut wird weiterhin Verdachtsfälle allergischer/ anaphylaktischer Reaktionen ganz besonders intensiv überwachen.

Weiterführende Literatur

Petersen AM, Sorrentino AP: Allergies and allergic reactions in Arcangelo VP, Petersen AM (eds) Pharmacotherapeutics for advanced practice: a practical approach (2006), pp. 713-726.

Kemp SF: Pediatric Asthma, Allergy and Immunolgy (2000) Vol. 14(1): 33-45.

Gerard NP, Gerard C: Complement in allergy and asthma. Current Opinion in Immunolgy (2002), 14: 705-708

Aktualisiert: 16.11.2009