Paul-Ehrlich-Institut

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Bekanntmachung über die Zulassung von Arzneimitteln - Abwehr von Arzneimittelrisiken - Vom 15. Juni 2012
Anordnung von Auflagen zu den Zulassungen für zelluläre Blutkomponenten und gefrorene Frischplasmen

Bekanntmachung im Original im Bundesanzeiger BAnz AT 12.09.2012 B6

Anordnung von Maßnahmen zur Risikominimierung beim Einsatz von HIV-1 NAT-Testsystemen

Nach schriftlicher Anhörung der pharmazeutischen Unternehmer durch das Paul-Ehrlich-Institut vom 02.11.2011 ergeht folgender

Bescheid

Bei der Herstellung von zellulären Blutkomponenten, therapeutischen Einzelplasmen und Stammzellzubereitungen zur hämatopoetischen Rekonstitution, die nach dem 01.01.2015 für den Verkehr freigegeben werden, müssen bei dem Spender-Screening HIV-1 NAT (Nukleinsäure-Amplifikationstechnik) Testsysteme eingesetzt werden, die geeignet sind, die mögliche Unterbestimmung bzw. die Nichterkennung einer Zielregion auszugleichen oder auszuschließen. Ein möglicher Ansatz ist die Verwendung eines sogenannten Dual-Target NAT-Tests, bei dem zwei (oder mehrere) verschiedene Abschnitte des HIV-Genoms amplifiziert und nachgewiesen werden. Die Methode muss so ausgelegt sein, dass sie die Anforderung des PEI an die Mindestsensitivität für alle amplifizierten Genregionen erfüllt. Diese ist derzeit der verlässliche Nachweis einer HIV-1-RNA-Konzentration von mindestens 10.000 IU/mL, bezogen auf die Einzelspende, Referenzpräparat: 2nd WHO International Standard for HIV-1-NAT assays; NIBSC code 97/650; 5.56 log10 HIV-1-RNA IU/vial bzw. 3rd WHO International Standard for HIV-1-NAT assays; NIBSC code 10/152; 5.27 log10 HIV-1-RNA IU/vial).

Dieser Bescheid gilt nicht für Blutkomponenten, die am 01.01.2015 bereits hergestellt, aber aufgrund der noch nicht abgelaufenen Quarantänelagerungszeit noch nicht für den Verkehr freigegeben wurden. Diese Präparate dürfen zum In-Verkehr-Bringen freigegeben werden, sofern nach Ablauf der Quarantänelagerungszeit die Untersuchung an einer nachfolgenden Spende oder Blutprobe desselben Spenders ein negatives Ergebnis mit einem HIV-1- NAT-Testsystem, das die Anforderungen dieses Bescheides erfüllt, ergeben hat.

Begründung:

Dem PEI wurden in den vergangenen Jahren mehrere Fälle aus dem Bereich des Blutspender-Screenings gemeldet, bei denen HIV-1-RNA-positive Spenden trotz entsprechend hoher RNA-Konzentrationen in der NAT-Testung nicht erkannt wurden, wobei es zu zwei bestätigten Übertragungen des Virus auf die Empfänger von Blutprodukten kam. Es konnte gezeigt werden, dass bei den verwendeten Testsystemen aufgrund einer eingeschränkten Bindungsfähigkeit eines der Primer ("mismatch") die virale Nukleinsäure nicht ausreichend amplifiziert und daher nicht nachgewiesen wurde. Zugrunde lagen hierbei neue HIV-1-Varianten, die zum Zeitpunkt des Designs der Tests noch nicht bekannt waren. Das Design aller davon betroffenen HIV-NAT-Testsysteme war so ausgelegt, dass nur eine Zielregion des HIV-1-Genoms erfasst wird (sog. Mono-Target-NAT-Tests). Im Rahmen eines Informationsaustausches (Stufenplanverfahren, Stufe I) wurden die Blutspendeeinrichtungen gebeten, alle Fälle einer HIV-NAT- Fehlbestimmung zu dokumentieren, um die mögliche Problematik systematisch erfassen zu können. Bis Anfang 2011 beantworteten insgesamt 51 Blutspende-Einrichtungen den vom PEI verschickten Fragebogen.

Bei der Auswertung der Fragebögen fanden sich von 2007 bis Ende 2010 insgesamt 17 Fälle einer negativen HIV-NAT-Testung bei nachweislich mit HIV infizierten Spendern (3 bis 5 Fälle pro Jahr). Bei 14 der 17 Fälle war die serologische Spendertestung positiv, so dass die Spenden nicht zur Weiterverarbeitung freigegeben wurden. In zwei Fällen mit negativer NAT-Testung und negativer serologischer Spendertestung kam es zu einer HIV-Übertragung auf den Empfänger eines Blutproduktes. Bei einem weiteren Fall kam es trotz der Transfusion der Blutkomponente eines HIV-infizierten Spenders zu keiner Virusübertragung. Bezogen auf die Anzahl der getesteten Spenden und der Meldungen für den Zeitraum 2007 bis 2010 ergibt sich somit eine Häufigkeit von einer HIV-Übertragung auf 9,64 Millionen Spenden.

Ein vom PEI am 08.06.2011 initiiertes Expertentreffen mit Fachleuten aus Blutspendeeinrichtungen, aus virologischen Instituten, von Testherstellern und des PEI erbrachte einen Konsens, dass durch die Kombination der serologischen Spendertestung und der NAT-Testung bereits ein sehr hoher Sicherheitsstandard erreicht wurde. Die oben dargestellten Fälle werfen jedoch die Frage einer möglichen Erhöhung des Risikos durch HIV-1-Varianten mit neuen Mutationen auf, die von den derzeit verwendeten NAT-Screening-Tests nicht sicher erfasst werden. Bei ungünstigen Konstellationen kann es sowohl zur Unterbestimmung der Viruskonzentration als auch in einzelnen Fällen zum vollständigen Nichterkennen der HIV-Genome kommen. Nach Einschätzung der Experten aus virologischen Instituten finden sich bei der klinischen Betreuung HIV-infizierter Patienten immer wieder Virusvarianten, die von den CE-gekennzeichneten HIV-NAT-Tests nur unzureichend erkannt werden. In diesem Zusammenhang kam es sowohl zu Unterbestimmungen der Viruskonzentration wie auch in einzelnen Fällen zum Nicht¬erkennen der untersuchten HIV-Genome durch einzelne Tests. Die Bedeutung dieser Untersuchungsergebnisse für das Blutspender-Screening lässt sich aus Sicht der virologischen Institute derzeit noch nicht abschätzen. Es muss aber davon ausgegangen werden, dass in Zukunft auch in den Spenderkollektiven HIV-Varianten mit derartigen Neumutationen auftreten. Die regelmäßige Auswertung von öffentlich zugänglichen Sequenzdatenbanken (z. B. "Los Alamos National Laboratory HIV Sequence Database") ist hierbei für die Einschätzung zukünftiger Risiken nur von beschränktem Nutzen, da die Veröffentlichung von viralen Sequenzdaten der aktuellen epidemiologischen Entwicklung oft mit erheblicher zeitlicher Verzögerung folgt. Weiterhin konzentriert sich bei vielen Untersuchungen der Nukleinsäuresequenzen das wissenschaftliche Interesse auf therapierelevante HIV-Genombereiche und weniger auf NAT-relevante Neumutationen. Eine Aussage über zukünftige epidemiologische Entwicklungen des HIV oder besonders von Mutationen betroffenen Virusgenomabschnitten wäre zudem auch mit Hilfe der Datenbanken nicht möglich.

Strategien zur Verbesserung der Sicherheit bei der NAT-Testung

Die Strategiediskussion wurde u. a. auf der Grundlage der 17 dokumentierten Fälle mit negativen HIV-NAT-Ergebnissen trotz vorliegender HIV-Infektion geführt. Hierbei muss berücksichtigt werden, dass aufgrund des positiven serologischen Befundes die HIV-Infektion bei 14 der 17 Spender erkannt und die Spende somit nicht freigegeben wurde. In mehreren Fällen erfolgte daher keine Nachuntersuchung mit anderen NAT-Testsystemen bzw. es liegen dem PEI keine zusätzlichen Untersuchungsergebnisse vor.

Bei drei Fällen ergab die Nachuntersuchung eine Virus-RNA-Konzentration zum Zeitpunkt der Blutspende von weniger als 2.000 IU/mL, d.h. unterhalb der vom PEI vorgeschriebenen Mindestnachweisgrenze. In fünf Fällen konnte in der Einzelspende eine Konzentration von > 10.000 IU/mL mit einem alternativen Mono-Target-NAT-Test nachgewiesen werden. Bei einem sog. "Elite-Controler" konnte mit mehreren empfindlichen HIV-NAT-Testsystemen keine HIV-1-RNA nachgewiesen werden. In sechs Fällen wurde in der Nachtestung HIV-1-RNA bei beibehaltener Poolgröße mit Hilfe eines sog. Dual-Target NAT-Tests nachgewiesen.

Als eine mögliche Maßnahme zur Verbesserung der Virussicherheit wurde u. a. eine höhere Mindestsensitivität bei der NAT-Testung diskutiert. Eine entsprechende Erhöhung der Mindestsensitivität von aktuell 10.000 IU HIV1-RNA/mL auf beispielsweise 1.000 IU/mL würde die diagnostische Fensterphase jedoch lediglich um 2,2 Tage verkürzen (entsprechend der Verdopplungszeit von HIV-1 von 17 h im diagnostischen Fenster). Anhand der dokumentierten Fälle lässt sich zeigen, dass diese Maßnahme nur bei drei der 17 Fälle zu einem positiven Ergebnis bei der NAT-Testung geführt hätte. Dem möglichen Nutzen dieser Maßnahme stände eine deutliche Kostensteigerung bei der NAT-Testung gegenüber, die durch die Erhöhung der Sensitivität, z. B. durch eine Verkleinerung der Poolgröße, verursacht würde. HIV-positive Spender, bei denen die Zielregion aufgrund eines "Mismatches" mit einem Mono-Target- NAT-Test nicht detektiert wurde, können zudem durch diese Maßnahme nicht sicher erkannt werden.

Da bei den meisten serologischen Kombinationstests (Nachweis von HIV1/2-Antikörpern und p24-Antigen) eine verbesserte Sensitivität gegenüber den HIV1/2-Antikörper-Tests nachgewiesen werden konnte, wurde als weitere mögliche Maßnahme der strikte Einsatz von HIV-Kombinationstests bei der Einzelspenden-Testung diskutiert. Die Analyse der
17 dokumentierten Fälle konnte den zusätzlichen Nutzen dieser Maßnahme jedoch nicht belegen. Bei 14 der 17 Fälle wurden die HIV-positiven Spender bereits mit einem Anti-HIV1/2-Test erkannt. Bei den zwei HIV-Übertragungen wurde hingegen die HIV-Infektion weder mit einem HIV1/2-Antikörper- noch mit einem HIV-Antigen/Antikörper-Test nachgewiesen.

Bei den dokumentierten Fällen zeigte sich ein überwiegender Anteil von männlichen Spendern im Alter zwischen 18 und 44 Jahren, was ein Risikoverhalten bei einem Teil der Betroffenen nahelegt. Als dritte mögliche Maßnahme wurde daher der Nutzen einer intensivierten Spenderbefragung nach Risikoverhalten diskutiert. Es bestand jedoch Konsens darin, dass selbst mit intensivierter Befragung das mögliche Risikoverhalten nicht gänzlich erfasst werden kann, zumal nicht ausgeschlossen werden kann, dass manche Spender ihr Risikoverhalten offensichtlich bewusst verschweigen.

Die Nutzung von Dual-Target-HIV-NAT-Tests ist aus der Sicht des PEI eine umsetzbare Strategie, deren Wirksamkeit bei einem Teil der dokumentierten Fälle (Zeitraum: 2007 – 2010) belegt werden kann. Mehrere IVD-Hersteller verfügen bereits über Dual-Target-HIV-NAT-Tests bzw. werden oder können in absehbarer Zeit entsprechende Testsysteme auf den Markt bringen. Eine unverhältnismäßige Kostensteigerung ist bei einer Umstellung unter Beibehaltung der Sensitivitätsanforderung aufgrund der gleichbleibenden Poolgrößen nicht zu erwarten. Ein möglicher Nachteil einer verbindlich definierten "Dual-Target-Strategie" wird vor allem in der Festlegung auf nur einen technologischen Lösungsansatz gesehen. So könnte die Entwicklung möglicher anderer Lösungsansätze durch diese Maßnahme eingeschränkt oder verhindert werden.

Das PEI sieht hierin einen berechtigten Einwand und eröffnet daher die prinzipielle Möglichkeit, auch anders konzipierte Testsysteme vorzuschlagen, die geeignet sind, die mögliche Unterbestimmung bzw. Nichterkennung einer Zielregion entweder auszuschließen oder auszugleichen.

Es wurde weiterhin eingewandt, dass derzeit der Nutzen der Dual-Target-HIV-NAT-Tests bisher nur theoretisch begründet, aber nicht z.B. mit entsprechenden Testpanels belegt werden kann. Die dem PEI vorliegenden Daten zeigen jedoch den Nutzen der Dual-Target-Test bei sechs der 17 gemeldeten Fälle. Weiterhin soll die beabsichtigte Maßnahme der Risikovorsorge dienen und bezieht sich daher auch auf ein potentielles, und somit zukünftiges Risiko. Die Wirksamkeit der Maßnahme kann daher definitiv erst im Rahmen der weiteren epidemiologischen Entwicklung bewertet werden.

Umsetzbarkeit der Dual-Target-Strategie

Um die Entwicklung und CE-Kennzeichnung der geforderten NAT-Tests sowie die Implementierung der Tests im Blutspender-Screening zu ermöglichen, wurde für die Umsetzung der Maßnahme ein Zeitraum von 30 Monaten festgelegt.

Analog zum bisherigen Vorgehen in Deutschland akzeptiert das PEI sowohl CE-gekennzeichnete qualitative Screening-NAT-Tests als auch entsprechend validierte quantitative NAT-Tests oder In-Haus-Entwicklungen. Die in diesem Stufenplan definierten Anforderungen betreffen alle Tests gleichermaßen.

Unter Dual-Target NAT-Tests versteht das PEI solche NAT-Tests, bei denen zum Nachweis einer Zielstruktur (hier HIV-1-RNA) zwei verschiedene Amplikons gebildet und nachgewiesen werden. Das PEI verzichtet bei dieser Festlegung bewusst auf detaillierte Vorgaben, z.B. hinsichtlich eines oder mehrerer getrennter Amplifikations- und Detektionsansätze oder hinsichtlich der Auswahl der Zielregionen. Mit Hilfe der im Rahmen der Testvalidierung durchgeführten Untersuchungen muss belegt werden, dass der Ausfall einer Region durch die andere Region kompensiert werden kann. Da natürlich vorkommende Virusvarianten, die diese Konstellation widerspiegeln, nur in wenigen Fällen verfügbar sein werden, können diese in Validierungsstudien bei einem Multiplexansatzes exemplarisch mit entsprechenden in vitro-transkribierten RNA-Fragmenten oder durch Verwendung einer nicht markierten Sonde (für eine der Zielregionen) durchgeführt werden.

Der Nachweis der Einhaltung der Gemeinsamen Technischen Spezifikationen der Richtlinie 98/79/EG bezüglich eines qualitativen HIV-NAT-Tests im Dual-Target-Ansatz sollte mit dem Gesamttest und wie bisher u. a. mit internationalen Referenzpräparaten geführt werden. Der Validierungsumfang für in-Haus hergestellte Tests ist entsprechend. Für Dual-Target-HIV-NAT-Testsysteme, die auf getrennten Ansätzen beruhen, sind die Anforderungen für jede Zielregion zu belegen.

Rechtsbehelfsbelehrung:

Dieser Verwaltungsakt gilt zwei Wochen nach Veröffentlichung im Bundesanzeiger als bekannt gegeben.

Gegen diesen Bescheid kann innerhalb eines Monats nach diesem Zeitpunkt Widerspruch erhoben werden. Der Widerspruch ist beim Paul-Ehrlich-Institut, Bundesinstitut für Impfstoffe und biomedizinische Arzneimittel, Paul-Ehrlich-Straße 51-59, 63225 Langen, schriftlich oder zur Niederschrift zu erheben.

Hinweis:

Die Umsetzung der Anordnung ist dem Paul-Ehrlich-Institut durch Änderungsanzeige zur Spendenstammdokumentation bzw. zu den einzelnen Arzneimitteln gemäß § 29 Abs. 1 Satz 1 Arzneimittelgesetz (AMG) vor dem 01.01.2015 mitzuteilen.

Langen, den 15. Juni 2012

Paul-Ehrlich-Institut
– Bundesamt für Impfstoffe und biomedizinische Arzneimittel –
Abteilung S – Arzneimittelsicherheit

Prof. Dr. Klaus Cichutek
Präsident

Aktualisiert: 12.09.2012